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Titelfoto Ausgabe 1 (2016)

Dermatotherapie
Medikamentöse Versorgung von Pruritus-Patienten
Die Behandlung ist sehr komplex und
bedarf neuer Therapieprinzipien


Bericht von Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel

Pruritus und dermatologische Rezepturen waren die beiden Themenschwerpunkte eines gemeinsamen Symposiums der GD-Fachgruppen Dermatotherapie und Magistralrezepturen, das im Rahmen der 20. GD-Jahrestagung vom 14. bis 16. März 2016 in Berlin ausgetragen wurde. Die Verknüpfung der Themen bot sich an, weil Rezepturen einen großen Anteil an der medikamentösen Versorgung von Pruritus-Patienten haben. Doch die beiden Themen überschnitten sich nicht in jeder Hinsicht. Denn einerseits werden Rezepturen weiterhin Versorgungslücken auch bei anderen Indikationen schließen, und andererseits gibt es für Pruritus-Patienten große Hoffnungen auf neue therapeutische Optionen jenseits der Rezeptur. Einige viel versprechende Kandidaten, die möglicherweise als neue spezifische Arzneistoffe gegen Juckreiz in Frage kommen, wurden bei einem Seminar der GD-Fachgruppe Dermatopharmakologie und -toxikologie zum Thema „Die Haut als Interface zur Umwelt“ angesprochen, das ebenfalls im Rahmen der 20. GD-Jahrestagung stattfand.


Pruritus ist definiert als Juckreiz, der über mindestens sechs Wochen anhält. Mit einer Punktprävalenz von über 15 Prozent ist dieses Problem in Deutschland weit verbreitet. Dabei ist die Lebensqualität der Betroffenen stark eingeschränkt. Oft ist der Pruritus der wesentliche Leidensfaktor bei einer chronischen Erkrankung.

Pruritus kann vielfältige
Ursachen haben


Als mögliche Pruritus-Auslöser nannte Professor Dr. Martin Metz, Berlin, dermatologische, systemische, neurologische und psychosomatische Erkrankungen, wobei oft mehrere Ursachen zusammenkommen. Weitere mögliche Auslöser können Arzneimittel sein, insbesondere Statine und ACE-Hemmer.

Metz betonte, dass Pruritus jeden treffen kann, auch im hohen Alter und bei intakter Haut. Im Rahmen der Diagnostik wird Pruritus auf primär veränderter und auf unveränderter Haut unterschieden. Eine weitere Variante ist der Pruritus auf Haut, die durch Kratzen sekundär verändert ist.

Professor Dr. Martin Metz von der Dermatologischen Klinik der Charité Universitätsmedizin Berlin machte deutlich, dass bei Pruritus meist eine komplexe Therapie erforderlich ist.

Pruritus erfordert eine
komplexe Therapie


Neben der Behandlung der Grunderkrankung erfordert der Pruritus selbst eine komplexe Therapie, erklärte Metz. Eine Maßnahme allein führe meist nicht zum Ziel. Die Haut selbst sei als Ursache nicht immer führend, aber stets beteiligt. Da es oft zu Hauttrockenheit und Hautirritationen komme, sollten die Patienten milde Hautreinigungsmittel und rückfettende Hautpflegeprodukte verwenden. Außerdem seien individuelle Trigger zu meiden.

In einer adäquaten Hautpflege sieht Metz eine wichtige Säule in der Behandlung des Pruritus. Diese in Leitlinien auch als Basistherapie bezeichnete Maßnahme sei gegebenenfalls durch Arzneimittel mit hydratationsfördernden, juckreizstillenden und/oder entzündungshemmenden Wirkstoffen zu ergänzen. Dabei komme auch der dermatologischen Rezeptur große Bedeutung zu (siehe unten).

Neben einer Lokalbehandlung, so Metz, benötigten die meisten Patienten auch eine systemische Therapie. In Leitlinien werden Gabapentin und Pregabalin bei nephrogenem Pruritus sowie Colestyramin und Rifampicin bei cholestatischem Pruritus als mögliche Therapeutika empfohlen. Bei unklarer Genese stehen Antihistaminika an erster Stelle der Empfehlungen, danach wiederum Gabapentin und Pregabalin.

Von den in Leitlinien genannten Arzneistoffen ist derzeit noch kein einziger für die Pruritus-Behandlung zugelassen. Zudem beruhen die Leitlinienangaben in den meisten Fällen nur auf wenigen kleineren Studien. Deshalb besteht nach Einschätzung von Metz aktuell ein großer Bedarf an Arzneimitteln, die bei Pruritus sicher wirksam und für diese Indikation zugelassen sind.

NK-1-Rezeptor-Antagonisten
sind bei Pruritus wirksam


Viel versprechende Kandidaten als neue juckreizstillende Arzneistoffe sind Neurokinin-(NK)-1-Rezeptor-Antagonisten wie Serlopitant, Tradipitant, Orvepitant und Aprepitant, mit denen zurzeit mehrere Studien stattfinden. Von diesen Substanzen ist Aprepitant bereits in der Behandlung der Emesis bei Chemotherapie etabliert.

Das Wirkprinzip der NK-1-Rezeptor-Antagonisten und deren Perspektiven für die Pruritus-Therapie stellte Professor Dr. Thomas Luger, Münster, im Rahmen eines Vortrags über Neuropeptide als Vermittler von Umwelteffekten in der Haut vor. Durch die Blockade des NK-1-Rezeptors kann der Effekt von Substanz P als Mediator für Entzündung und Juckreiz gehemmt werden.

Die bisher bekannten Studienergebnisse zu NK-1-Rezeptor-Anta-gonisten sprechen für deutliche Erfolge bei entzündungsbedingtem Juckreiz, erklärte Luger. Serlopitant zeigte zum Beispiel in einer Studie schon nach einer Woche dosisabhängig eine signifikante juckreizmindernde Wirkung. Als unerwünschte Wirkungen seien Übelkeit und Benommenheit, aber keine sicherheitsrelevanten Aspekte aufgetreten.

Wenn nach einer Woche keine Wirkung eintrete, sei bei dem betreffenden Patienten offenbar kein Erfolg mit Serlopitant zu erreichen. Eine Grenze des neuen Therapiekonzeptes mit NK-1-Rezeptor-Antagonisten sieht Luger darin, dass zwei Wochen nach Beendigung einer vierwöchigen Behandlung im Regelfall erneut Juckreiz auftritt. Zudem seien die Substanzen nicht bei nephrogenem Pruritus wirksam.

Professor Dr. Thomas Luger von der Universitäts-Hautklinik Münster stellte einige viel versprechende Kandidaten als neue spezifische Arzneistoffe zur Behandlung von Juckreiz vor.

Ein therapeutisches Target
ist auch der TRPV1-Rezeptor


Ein weiteres von Luger vorgestelltes Target für die Juckreizbehandlung sind die Ionenkanäle der sehr umfangreichen Transient-Rezeptor-Potenzial-Familie (TRP-Kanäle), die Signale zwischen dem Nerven- und dem Immunsystem vermitteln. Der Vanilloid- oder Capsaicin-Rezeptor TRPV1 an Keratinozyten und anderen Hautzellen löst Juckreiz aus und reguliert die epidermale Barrierefunktion. Er wird beispielsweise durch einen niedrigen pH-Wert, UV-Strahlung und Retinoide aktiviert.

Bei Juckreiz ist TRPV1 stärker exprimiert. TRPV1-knock-out-Mäuse reagieren weniger empfindlich auf Temperaturveränderungen und haben weniger Schmerzen. Derzeit wird angenommen, dass diverse Stimuli zur Überexpression von TRPV1 führen können, woraufhin Neuromediatoren wie Substanz P freigesetzt werden, die wiederum zu Vasodilatation, Inflammation, Schmerz und Juckreiz führen. Damit bietet sich dieser Ionenkanal als therapeutisches Target zur Entzündungsmodulation und gegen Juckreiz an, erklärte Luger.

Außerdem, so Luger, wird derzeit die experimentelle These erforscht, dass Polymorphismen des TRPV1-Rezeptors als Parameter für die Beschreibung sensibler Haut dienen könnten. Antagonisten für TRPV1 bieten offensichtlich Potenzial für die Behandlung empfindlicher Haut. Luger warnte jedoch, dass eine Blockade des TRPV1-Rezeptors die Barrierefunktion der Haut stören könnte.

Wichtig bei Pruritus ist eine
adäquate Hautpflege


Unabhängig von den neuen pharmakologischen Entwicklungen bleibt die Anwendung adäquater Hautpflegemittel eine wichtige Säule in der Behandlung des Pruritus, wie Privatdozentin Dr. Petra Staubach, Mainz, betonte. Einen wesentlichen Vorteil einer solchen Basispflege sei, dass dadurch die Dosis potenziell nebenwirkungsreicher Arzneimittel reduziert werden könne.

Nach Staubachs Erfahrungen versagt die Basispflege jedoch nicht selten wegen mangelnder Compliance oder deswegen, weil die Patienten sie sich aus Kostengründen nicht leisteten. Die Referentin erinnerte daran, dass ein 12-Jähriger für eine zweimal tägliche Anwendung am ganzen Körper immerhin etwa 250 Gramm einer streichfähigen Zubereitung pro Woche benötigt.

Große Bedeutung in der Pruritus-Therapie hat nach Staubachs Auffassung auch die dermatologische Rezeptur. Als Beispiele nannte sie die Rezepturempfehlungen, die in die in Kürze zu erwartende Neufassung der Pruritus-Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft einfließen sollen (siehe Tabelle). Die meisten dieser Rezepturen enthalten jedoch keine verschreibungspflichtigen Arzneistoffe und sind deshalb für gesetzlich versicherte Erwachsene nicht erstattungsfähig.


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Die Rezepturherstellung verantwortet
allein der Apotheker


Dr. Andreas Hünerbein, Naumburg/Saale, der neue Leiter der GD-Fachgruppe Magistralrezepturen, betonte die Bedeutung der Rezeptur für das Eingehen auf individuelle Patientenbedürfnisse. Zugleich machte er die Vorteile von standardisierten Rezepturen gegenüber frei zusammengestellten Individualrezepturen deutlich. Letztere müssten vom Apotheker umfassender hinterfragt werden. Dazu gehören die formale Prüfung auf Erstattungsfähigkeit sowie die in der Apothekenbetriebsordnung vorgeschriebene Prüfung der pharmazeutischen Plausibilität. Zudem müsse der Apotheker das vom Arzt verfolgte therapeutische Konzept nachvollziehen können.

Dr. Andreas Hünerbein, Naumburg/Saale, der neue Leiter der GD-Fachgruppe Magistralrezepturen, betonte die unteilbare Verantwortung des Apothekers für die Herstellung von Rezepturen.

Im Rahmen der Plausibilitätsprüfung habe der Apotheker zu klären, ob das von ihm herzustellende Arzneimittel galenisch kompatibel ist und die Richtkonzentrationen der verordneten Wirkstoffe eingehalten wurden. Die Verschreibung müsse – auch hinsichtlich der anzuwendenden Salze von Wirkstoffen – eindeutig sein. Zudem dürften keine bedenklichen Stoffe in Rezepturen eingesetzt werden.

Hünerbein betonte die unteilbare Verantwortung des Apothekers für die Herstellung der jeweiligen Rezeptur, die der verordnende Arzt ihm nicht abnehmen könne. Der Apotheker sei allein dafür verantwortlich, dass das herzustellende Arzneimittel den pharmazeutischen und den rechtlichen Anforderungen genüge.

Letzteres betreffe die formalen Anforderungen an die eingesetzten Ausgangsstoffe ebenso wie die Stabilität der hergestellten Rezeptur. Um all diese Anforderungen zu erfüllen, müsse die Plausibilitätsprüfung gut dokumentiert werden und eine kollegiale Kommunikation mit den verordnenden Ärzten gewährleistet sein.

Auch Liposomen können in
Rezepturen verarbeitet werden


Nach Einschätzung von Dr. Stefan Bär, Hamburg, bieten sich bei Pruritus auch liposomenhaltige Rezepturen an. Liposomen dienen meist als Transportvehikel, um die Penetration von Wirkstoffen in die Haut zu verbessern. Sie seien, so Bär, neben vielen Anwendungen im kosmetischen Bereich auch für dermatologische Rezepturen geeignet.

Bei Pruritus würden sich Liposomen anbieten, die nicht mit Wirkstoffen beladen sind. Die Linolensäure aus den Liposomen stärke die Hautbarriere und erschwere so das Eindringen von Allergenen. Auf diese Weise könnten Entzündungen gehemmt und letztlich auch Juckreiz gelindert werden, folgerte Bär.

Er empfahl, die im Handel erhältlichen „Allergo-Liposomen“ mit Phenoxyethanol zu konservieren. Dann seien die entsprechenden Rezepturen bis zu sechs Monate haltbar. Aufgrund der wenigen und überschaubaren Inhaltsstoffe könne die Kompatibilität solcher Rezepturen und deren Stabilität gut abgeschätzt werden.

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